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Nr. 141, siehe GAA, Bd. V, S. 193thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

                    Handschrift Alter Freund,

die Iris-Recension gefällt mir, sie nützt uns, wir sind doch
30außerordentlich oder ungeheuer, auch geht sie nur bis pag. 25
und doch 2 Blätter. Den 2 ten Band hat aber der Rec. offenbar
nicht gelesen, er hätte den Poeten sonst im Allgemeinen
anders beurtheilt. Man sieht aber, daß es passable mit uns
gehen wird, wenn auch nicht mit geistiger, doch mit geldlicher
35Anerkennung. Ich eine Recension in die Hallesche Literaturzeitung?
Wohlan! Kurz und schlecht:

  Dramatische pp..

  „Der Verfasser (wie es scheint ein juristischer Geschäftsmann

[GAA, Bd. V, S. 194]

 


in der Stadt Detmold im Fürstenthum Lippe) eröffnet die Vorrede
zu diesem Buche mit der Erklärung, daß ihm seine jetzt
gedruckten dramatischen Werke längst fremd geworden seyen.
Die Vorrede ist in einem so kalten, sich selbst belächelnden
5Style geschrieben, daß man diesem Geständniß fast Glauben
schenken könnte. Die hier gedruckten Stücke bestehen in Herzog
pp Trauerspiel pp, N. u. M. e. t. Sp., S. S. I. u. t. B. e.
L. pp, M. u. Sulla, e. Tr., und in einer Abhandlung über die
Shakspearomanie. Dem Herzog Gothland ist ein Schreiben
10L. Tiecks vom 6 Dec. 1822 beigedruckt, nach welchem ihm
zwar „ein wahres Urtheil grade bei diesem Stück schwer fällt,“
aber das Resultat darin besteht, daß das Werk „ihn angezogen
pp — gewonnen“.

  Rec. hat lange Jahre den Gang der poetischen Literatur
15beobachtet, aber eine im Ganzen so niederschlagende und dennoch
hie und da erhebende Erscheinung wie diese dramatischen
Dichtungen bilden, ist ihm noch nie vorgekommen. Offenbar
ist der Verfasser in mehr als einer Rücksicht untergegangen,
mit Ernst und mit Spott scheint er alles Sittliche und Ideale
20zertrümmert zu haben, er selbst ist mit sich uneins, er ist sich
nichts, deshalb ihm auch die Welt. Die Tragödie Gothland
enthält den Kampf eines Negers (Berdoa) mit dem
Herzoge Gothland, dem Repräsentanten der
Europäer. Der Neger ist mit Farben gezeichnet schwarz
25wie er selbst, und Gothland, ein kühner, aber schwacher
Mensch, erstarrt endlich zu einem Bösewicht, der den Neger
noch überbietet. Beide Personen bekämpfen unter vielen Wechselfällen
sich fortdauernd und gehen endlich beide unter. Das
Merkwürdige bleibt dabei, wie bei den trefflichsten poetischen
30Stellen, fast auf jeder Seite, wirklich mit dem Neger ein wahrer
Samum verheerend durch das Stück weht, der alles Gemüthliche
und rein Menschliche darin zerstört. Wenn Berdoa „fast
mit Handschrift Vision“ sagt:

            „Sinne öffnet eure Thore
35Amen“

so bezeichnet er damit nur den Geist des Stückes. Rec. scheut
sich, hier ein Mehreres auszuziehen, nur den neugierigen Kenner
könnte er dabei interessiren, — dem Verfasser indeß ist zu
rathen, nicht im Zerstören, sondern im Aufbauen
40des Edlen seinen Ruhm zu suchen.

  Das tragische Spiel „Nannette und Maria“ ist eine Skizze,

[GAA, Bd. V, S. 195]

 


nichts weiter. Es sind jedoch Scenen darin wie sie sich nur
in den besten Liebestragödien vorfinden mögen; man nehme
nur die erste, die wir hier zur Probe ganz abdrucken lassen



5Wie schön und naiv! — — aber der Dichter scheint Langeweile
gefühlt und Ende des 3t Acts alles über den Haufen
geworfen zu haben.

  „Scherz, Satire pp — —.“, ein Lustspiel, wird bei Jedem
lautes Lachen erregen, doch im Grunde nur ein Lachen der
10Verzweiflung. Um alles zu verspotten bemüht der Verfasser
den Teufel, seine Großmutter, ja, sich selbst in dieses Stück
hinein; nichts in Literatur und Leben bleibt unversehrt, —
man lese z. B. die 2te Scene des 2t Actes

        „Rattengift pp Ach die Gedanken — — mittheilen
15        will“.

Schon in diesem weder im Guten noch Schlimmen eben ausgezeichneten
Probestücke findet man leicht die Idee, auf welche
der Dichter hinausgeht.

  Viel wohler wird es Rec. nunmehr vom Marius und S.,
20einem Trauerspiel, und von der Shakspearomanie, einer Abhandlung,
reden zu können. Marius und Sulla, noch unvollendet,
bietet, besonders im 2ten Acte, eben so geschichtliche
als ergreifende Scenen dar. Selbst Shakspeare hat
nie Handschrift trefflichere Volksscenen gezeichnet als wir sie hie (Act 2,
25Sc. 2) finden.

Sextus

„Wem gehört dieser Palast — — Säulen in Stücken“.

Und wo sind die Gefühle des Marius auf Carthagos Trümmern
dichterischer geschildert worden als in Act 1. Sc. 1

30Marius

„Unermeßliche — zweitenmale.“

Dennoch ist Marius gegen den Sulla, der sich dadurch characterisirt
daß er sagt

            „Der Pöbel irrt sich pp — hetze“

35unbedeutend. Marius stirbt mit sehr poetischen Floskeln:

            „Zwei Schlachtfelder pp — geselle“ und
            „Fort, fort, mit pp — Sterben“

aber Sulla, von dem es heißt:

            „Der Erdball pp — Lächeln“

40verläßt mitten im Triumphzuge seine Dictatorstelle
und ist dadurch um so größer.

[GAA, Bd. V, S. 196]

 


  Die Abhandlung über die Shakspearomanie ist vielleicht
das Beste des Buches. Nur wundert es Rec. wie ein so gelehrter
und kritischer Dichter, als hier der Verf. sich ausweis't,
selbst so weit gegen seine eigenen Regeln in seinen Stücken
5sündigen konnte. Shakspeares Verhältniß zur altenglischen
Bühne, sein Auftreten und seine Verbreitung in Deutschland,
sein eigener Werth und der Werth seiner Kritiker (Lessing,
Schlegel, Tieck pp.), der Nutzen und Schaden, den die ihm
gewordene unbedingte Bewundrung gestiftet, sind meisterhaft
10geschildert.

  Man muß dem Verf. dieser Dichtungen bedeutende Objectivität
und Phantasie zugestehen, Tragik und Komik so wie die
verschiedenartigsten Charactere scheinen ihm gleich geläufig
aus der Feder zu fließen. Dennoch spürt man in seinen Stücken
15überall nur die Trümmer einer zerstörten Subjectivität;
der Verf. hat Ruinen gemacht, um daraus neu zu bauen; seine
Werke erfreuen nicht, aber erschüttern, und schwerlich wird
oder kann ein Mensch wie der Verf. ferner etwas leisten. u.“

  Amicissime, füll' die Lücken. Daß Du vieles angezeigt, ist
20klug; alles hilft. Der Lärm geht los. Den Herrn Kunz
laß nur helfen; jemehr geschimpft, je Handschrift besser vertheidigt. Wer
schimpft ist ein Narr, denn er greift an, und der Angreifende
ist stets übler dran als der Vertheidiger. Die erscheinenden
Recensionen schick' mir nur baldmöglichst,
25immer auf meine Kosten, zur Ansicht oder
zum Behalten. Du thust mir einen Gefallen. Verschickst
Du unsre Sachen, so beobachte doch, ob nicht 2ter und 1ster
Theil die nämlichen sind; der Buchbinder hat sich bisweilen,
wie ich spüre, geirrt. Ich bin hier in guten Wegen.
30Alles wurmt, ich muß nur Erfog sehen, und noch lieber
einen Brief von Dir. Meinen Brief füllt jetzt die
verdammte Recension, an der Du bessern magst. Bald mehr.
Gestört werde ich immer, auch jetzt durch ein sehr langes Gesicht.
Dein

35                          alter schiefbeiniger, doch
erträglicher Ch. D. Grabbe.

Detmold den 28 st. Dec. 1827.

[Adresse:] An die Herrmannsche Buchhandlung Wohllöblich
(Buchhändler Kettembeil) in Frankfurt am Main. Frei.

[GAA, Bd. V, S. 197]

 

 

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1812Adolph Henrich Grabbe Nr. 3, 1812 — Dorothea Grabbe Nr. 3, 1812
1815Meyersche Hofbuchhandlung 
1816Meyersche Hofbuchhandlung 
1817Georg Joachim Göschen Nr. 14, 28. Juli 1817
1818Adolph Henrich Grabbe  — Dorothea Grabbe Nr. 21, 11. Februar 1818 — Meyersche Hofbuchhandlung 
1819Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 27, 07. May 1819
1821Dorothea Grabbe  — Adolph Henrich Grabbe 
1822Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen Nr. a1, 28. Januar 1822 — Adolph Henrich Grabbe  — Dorothea Grabbe  — Ludwig Tieck 
1823Ludwig Tieck  — Adolph Henrich Grabbe  — Ludwig Christian Gustorf  — Dorothea Grabbe 
1824Ludwig Christian Gustorf Nr. 80, 12. Februar 1824 — Fürstlich Lippische Regierung Nr. 81, 14. Februar 1824 — Examinationskommission Nr. 85, 27. März 1824
1825Moritz Leopold Petri  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 90, 29. Dezember 1825
1826Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 91, 19. Januar 1826 — Christian Gottlieb Clostermeier  — Friedrich Wilhelm Helwing Nr. 94, 06. May 1826 — Friedrich Wasserfall  — Meyersche Hofbuchhandlung  — Christian von Meien Nr. 102, 15. Oktober 1826 — Fürstlich Lippische Regierung  — Moritz Leopold Petri 
1827Fürstlich Lippische Regierung Nr. 116, 07. Januar 1827 — Christian von Meien Nr. 119, 07. April 1827 — Christian Gottlieb Clostermeier Nr. 121, 01. May 1827 — Moritz Leopold Petri Nr. 123, 04. May 1827 — Unbekannt  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Nikolaus Meyer Nr. 132, 21. August 1827 — Johann Wolfgang von Goethe Nr. 135, 26. Oktober 1827 — Ludwig Tieck Nr. 136, 30. Oktober 1827 — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 140, 22. Dezember 1827
1828Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 144, 04. Januar 1828 — Christian von Meien Nr. 147, 10. Januar 1828 — Fürstlich Lippische Rentkammer Nr. 155, 24. Januar 1828 — Wilhelmine Koch Nr. 156, 26. Januar 1828 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Nikolaus Meyer Nr. 165, 03. März 1828 — Fürstlich Lippische Regierung  — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 167, 07. März 1828 — Christian Gottlieb Clostermeier  — Johann Karl August Kestner  — Karl Gottfried Theodor Winkler Nr. 183, 02. April 1828 — Louise Christiane Clostermeier  — Louise Clostermeier  — Unbekannt Nr. 213, 26. November 1828
1829Christian von Meien  — Friedrich August Rosen Nr. 223, 10. Februar 1829 — Friedrich Althof Nr. 224, 20. Februar 1829 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 235, 01. August 1829 — Nikolaus Meyer Nr. 237, 03. August 1829 — Hermannsche Buchhandlung Nr. a2, 20. August 1829 — Louise Clostermeier Nr. 242, 05. September 1829 — Louise Christiane Clostermeier  — Friedrich Steinmann  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 250, 19. Dezember 1829
1830Nikolaus Meyer  — Friedrich Steinmann Nr. 259, 30. Januar 1830 — Karl Gottfried Theodor Winkler  — Johann Heinrich Wist Nr. 268, 28. May 1830 — Unbekannt Nr. 270, 15. Juni 1830 — Ernst Barkhausen Nr. 273, 03. August 1830 — Wolfgang Menzel Nr. 274, 03. August 1830 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 278, 16. September 1830 — Louise Christiane Clostermeier 
1831Georg Ferdinand Kettembeil  — Wolfgang Menzel Nr. 286, 15. Januar 1831 — Nikolaus Meyer  — Dr. Gustav Friedrich Klemm Nr. 293, 24. März 1831 — Christian von Meien  — Louise Christiane Clostermeier  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 324, 28. Juli 1831 — Fürstlich Lippische Regierung  — Valentin Husemann  — Moritz Leopold Petri 
1832Moritz Leopold Petri  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Louise Christiane Clostermeier  — Theodor von Kobbe Nr. 353, 10. Februar 1832 — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien Nr. 361, 28. May 1832 — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 362, 29. May 1832 — Johann Karl August Kestner Nr. a3, 18. Juni 1832 — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Herrschaftliches Richteramt Nr. 368, 02. November 1832
1833Moritz Leopold Petri Nr. 369, 05. Januar 1833 — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Fürst Leopold zur Lippe II.  — Friedrich Ballhorn-Rosen Nr. 377, 06. März 1833 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Louise Christiane Grabbe  — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien 
1834Fürstlich Lippische Regierung  — Fürst Leopold zur Lippe II.  — Christian von Meien  — Karl Ziegler  — Dorothea Grabbe  — Wolfgang Menzel Nr. 477, 15. November 1834 — Eduard Duller Nr. 478a, 18. November 1834 — Louise Christiane Grabbe  — Moritz Leopold Petri  — Karl Leberecht Immermann 
1835Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 499, 01. Januar 1835 — Karl Leberecht Immermann  — Karl Ziegler  — Louise Christiane Grabbe  — Friedrich Althof Nr. 610, 10. Juni 1835 — Dr. Martin Runkel  — Karl Jenke Nr. 620, 18. Juni 1835 — Friedrich Schenk Nr. 620, 18. Juni 1835 — Dr. Karl Heinrich Ebermaier Nr. 623a, 20. Juni 1835 — Carl Georg Schreiner  — Dorothea Grabbe  — Gräfin Elisa von Ahlefeldt  — Ludwig Saeng Nr. a5, 27. Juli 1835 — Moritz Leopold Petri  — Unbekannt  — Wolfgang Menzel  — A. L. Hons 
1836Karl Leberecht Immermann  — A. L. Hons  — Hermann Kunibert Neumann  — Eduard Duller Nr. 694, 21. April 1836 — Dorothea Grabbe  — Heinrich Brockhaus Nr. 702, 11. May 1836 — Karl Ziegler  — Carl Georg Schreiner  — Moritz Leopold Petri  — Louise Christiane Grabbe  — Christian von Meien Nr. 725, 24. Juli 1836 — Unbekannt Nr. 729, 08. September 1836
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