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Nr. 80, siehe GAA, Bd. V, S. 97thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Ludwig Christian Gustorf (Berlin)
Brief

                    Handschrift Gustorff,

verzeih einem Esel seine Eselei und einem Grabbe seine
Grabbage; außerdem war auch Dein besprochenes Schreiben so
30curios eingerichtet, sein Couvert so winzig, seine Adresse „an
Herrn Christ. Grabbe“ so verdächtig (selbst der Postsecretair
sah mich darauf an), Deine Namensunterschrift so nachlässig,
und Dein Ausdruck so auffallend, daß ich das Schlimmste vermuthete.

[GAA, Bd. V, S. 98]

 


Ist es aber wahr (was ich in der That dunkel ahnte),
daß Du alles geflissentlich so anordnetest, so muß ich Dich
verehren, und gestehen, daß ich noch nie so groß von Dir
gedacht habe. — Ich schäme mich, Dir für die Gefälligkeit, mit
5welcher Du mir das Zeugniß (jetzt mein einziges Gut) verschafft
hast, eine elende Danksagung abzustatten, sonst würde
ich hier den allgemeinen Briefsteller citiren. — Daß Üchtriz,
der gewiß gar so übel nicht ist, nur Gutes von mir sagt, ist
ganz dem pythagoräischen Lehrsatze gemäß, denn er muß ja
10wissen, daß ich ihm durchaus nicht mehr schaden und nützen
kann. Zufolge Okens Naturhistorie wird er mich in 1 Jahre
tadeln, und in 2 Jahren vergessen. — Wenn ich in meinem
letzten Sendschreiben auf meine rechte Ehre versichert
habe, so deute mir das nicht in's Schlimme, weil ich wohlweislich
15zum Behufe meines gesellschaftlichen Umgangs mir 32
andere Ehren angeschnallt habe; Du denkst Dir nicht, was
mir das für einen Nutzen stiftet. — — Der Herzog von
Angouleme hat nun das Handschrift spanische Bitter heruntergesoffen und
ich bin nur in Furcht, daß er davon leicht betrunken werden
20kann, obgleich man hoffentlich vermöge einer Dampfmaschine
ihn mit einem legitimen türkischen Häringssalat u.s.w. (NB.
Wenn ich etwas durcheinander schmiere, so nimm das nicht
übel, weil ich, wie Du weißt, den Brief für den besten halte,
welcher dem gewöhnlichen Umgangsgespräche, dessen Weitläuftigkeiten
25vermeidend, an mächsten kommt.) Weshalb bezeichnest
Du mir nicht Dein jetziges Logis? Bei der Buzke
wohnst Du nicht mehr. — Bilde Dir nicht ein, Du alter [unleserlich
ausgestrichen], daß es bei Dir fuimus Troes heißt;
Du bleibst gewiß, was Du einmal gewesen bist, und wenn
30Dir auch Hufeland noch so viel fremdartige Cadaver einzuoculiren
sucht; paß nur auf, wie Deine Lebensgeister sich
plötzlich aufrütteln werden, wenn Du durch ein günstiges Geschick
irgendwo „nen Rinderbraten von Alt-England“ erschnappst;
hic it, ein einziger Floh biß dem großen Newton
35sicherlich die ganze Astronomie weg und Kant hat, trotz
seines Rennomirens, die Kritik der Vernunft in einer Tasse
Kaffee geangelt oder besser gesagt, er hat die Vernunft darin
rein gewaschen und manchen den Kaffee verdorben. Ich entsetze
mich über das triviale Zeug, womit ich Dich ennuyire;
40glaub nur nicht, daß ich es aus Bosheit, Rachsucht oder Undankbarkeit
thue, — es ist meine dießjährige Einfalt, denn

[GAA, Bd. V, S. 99]

 


trotz des gelinden Winters wird Handschrift mein Geist künftigen Sommer
eine geringe Witzernte halten; es muß fortan anderes
Korn, echter Rocken darin wachsen, und zwischen dessen Halmen
rottet man die Blumen aus. Wäre übrigens meine Situation
5nicht etwas triste, so würde ich ziemlich vergnügt seyn,
weil mir die Wissenschaften wirklich wieder Spaß machen:
mein Gemüth ist ein unruhiger Hund, dem man ein Stück
Fleisch vorwerfen muß, damit es etwas zu kauen hat, und so
ein Stück Fleisch mit einem Knochen darin ist das corpus
10juris Romanorum civilis. — Denkst Du auch noch wohl dann
und wann an Dein Logis in der Mauerstraße? Ahne ich recht,
sitzt Du am Ende wieder darin? — Die Kronprinzessinn,
welche Ihr nun habt, sah ich in Dresden; sie schien mir recht
hübsch zu seyn, und hatte Lippen wie Polster, auf denen die
15Küsse ausruhen sollten. Es ist aber auch möglich, daß ich
Sie mit einer ihrer Schwestern verwechsle. — Wer weiß ob
ich im Lippeschen nicht aller Vorurtheile ungeachtet in eine
erträgliche Carriere gerathe, wer weiß ob wir uns in einigen
Jahren nicht abermals psychisch und physisch näher stehen
20als je. Bis dahin werde ich mich freilich oft mit dem Ausspruche
meines Sulla trösten müssen: Das Jahr ist kurz, die
Stunde lang. — Wie ist's mit den Kosten des testimonii? —
Sehr gefällt mir in Deinem Briefe die Stelle: laß Deinen
miserablen Argwohn, Handschrift Grabbe. Der Grabbe will versuchen ob
25er es kann. Aber Du mußt wenigstens auch nicht mehr sprechen,
daß Du so wenig Zeit hättest, an mich zu schreiben;
Zeit zum Briefe hat man immer, wenn man nur will. Mach
die Dinger nur nicht allzubreitschultrig (ich meine im Couvert),
sonst denkt die Post, daß sie den Wagen umschmeißen könnten
30und nimmt mehr Geld dafür. In den ersten 3 Monaten
brauchst Du übrigens an mich nicht zu frankiren; wozu soll
ich ja das Wenige, was ich habe, eher anwenden, als zum
Behufe, einige Worte von meinen Freunden zu hören? — So
wie ich in meinen Nöthen an Hundrich schrieb, um Dich zu
35treiben, habe ich neulich an Robert geschrieben (Du wirst's
schon wissen), um euch beiden zu treiben, und an Köchy, um
euch alle drei zu forciren. Du nimmst es mir doch nicht
krumm? Ich dachte einige von euch wären mir böse, und ich
glaube, man kann mir leicht allerlei verzeihen. — Meine
40Menschenkenntniß ist nicht viel werth, besonders in concreto;
darin hast Du ganz Recht, so wie Du auch überhaupt mehr

[GAA, Bd. V, S. 100]

 


Recht hast, als ich bisweilen denken mag.

Responde (amico tuo)
                     sobald, so bald als möglich,
                                   
Detmold (den 12ten Febr.    Ch. D. Grabbe;
                1824.)                der Bär, brumm,
   / brumm.

 

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1818Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 22, 03. März 1818
1820Adolph Henrich Grabbe 
1822Christian Gottlieb Clostermeier Nr. 42, 01. März 1822 — Gotthelf Heinrich Jacobi Nr. 49, 21. November 1822 — Ludwig Tieck Nr. 51, 06. Dezember 1822 — Adolph Henrich Grabbe 
1823Otto Carl August Ludwig Höpffner Nr. 62, 04. April 1823 — freunde Nr. 65, 24. April 1823 — Ludwig Christian Gustorf  — Adolph Henrich Grabbe  — Karl Köchy Nr. 73, 24. Juli 1823 — Witwe Lohse Nr. 79, 23. November 1823
1824Karl Köchy Nr. 82, 16. Februar 1824 — Wilhelm Hermann Claepius Nr. 84, 01. März 1824 — Examinationskommission Nr. 86, 28. März 1824 — Fürstlich Lippische Regierung Nr. 87, 02. Juni 1824
1826Fürstlich Lippische Regierung Nr. 111, 14. November 1826 — Christian Gottlieb Clostermeier 
1827Christian Gottlieb Clostermeier Nr. 137, 07. November 1827 — Fürstlich Lippische Regierung 
1828Christian Gottlieb Clostermeier Nr. 154, 23. Januar 1828 — Fürstlich Lippische Regierung  — Louise Christiane Clostermeier  — Johann Karl August Kestner Nr. 178, 28. März 1828 — Louise Clostermeier 
1829Louise Christiane Clostermeier Nr. 233, 13. Juli 1829 — Fürstlich Lippische Regierung Nr. 252, 22. Dezember 1829
1831Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 298, 14. April 1831 — Fürstlich Lippische Regierung  — Louise Christiane Clostermeier Nr. 348, 29. Dezember 1831
1832Fürstlich Lippische Regierung  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 365, 27. Juli 1832
1833Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 370, 20. Januar 1833 — Wilhelm Arnold Eschenburg Nr. 378, 16. März 1833 — Johann Wilhelm von Hoffmann Nr. 379, 17. März 1833 — Louise Christiane Grabbe Nr. 387, 26. April 1833 — Fürstlich Lippische Regierung 
1834Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 423, 30. Januar 1834 — Fürstlich Lippische Regierung  — Louise Christiane Grabbe Nr. 476, 13. November 1834 — Karl Leberecht Immermann Nr. 481, 21. November 1834
1835Louise Christiane Grabbe  — Karl Leberecht Immermann  — Carl Georg Schreiner Nr. 648, 27. August 1835
1836Karl Leberecht Immermann Nr. 687, 25. Februar 1836 — Carl Georg Schreiner  — Moritz Leopold Petri Nr. 700, 05. May 1836 — Louise Christiane Grabbe  — Fürstlich Lippisches Konsistorium Nr. 728, 07. September 1836
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