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Nr. 99, siehe GAA, Bd. V, S. 118nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Christian Gottlieb Clostermeier (Detmold)
Brief

      G. P. M.

  Vor Allen muß ich bemerken, daß die Vorstellung an Serenissimum
mir gewiß mehr Lob gibt, als ich verdiene, und ich
30die geneigte Gesinnung darin dankbar verehre.

  Zum ersten Bogen derselben pag. 3 und 4 wage ich anzuführen,
daß nicht bloß auf der Universität, sondern schon
auf der Schule die Geschichte und die Geographie, wie meine
Lehrer: Falkmann, Möbius, Preuß, bezeugen müssen, mein
35Haupt- und Lieblings-Studium war, ich auch darin etwas
prästirte.

[GAA, Bd. V, S. 119]

 


  Actenstaub und Actendunst fürchte ich so wenig, daß ich
allein in der letzten Zeit drei Bibliotheken (die Helwing-Hoffmannische,
die Helwingische und die dem Auditor Krohn
von seinem Vater nachgelassene) binnen wenigen Tagen geordnet
5habe, welches zugleich ein Zeugniß geben möchte, daß ich
in den dazu erforderlichen Kenntnissen einiges Zutrauen genieße.


  Jetzt habe ich von dem General-Superintendenten Werth
den Auftrag erhalten, morgen den 28. August eine meist
10theologische Büchersammlung zu verauctioniren, und dabei abermals
Gelegenheit bekommen, den literarischen Nachlaß des
verstorbenen General-Superintendenten von Cölln ordnen zu
helfen.

  Den Advocatenstand zu verlassen trage ich herzliche Sehnsucht,
15habe auch stets an der Jurisprudenz nur die historischtheoretische
Seite geliebt, und ging zum Theil deßhalb nach
Leipzig und Berlin, wo, besonders unter Haubold, die historische
Schule vorherrschte.

  Zum 2ten Bogen pag. 4 ect. der Vorstellung.

20  Diplomatik betreffend, wurde dieselbe in Leipzig nur als
Nebensache der historischen und historisch-juristischen Collegien
betrachtet, und kam, weil man sich auf den eignen Trieb
der Fähigen von Seiten der Oberbehörden verließ, kein Collegium
darüber zu Stande. Wie in Leipzig, steht es damit auch
25an den übrigen Universitäts-Orten und es ist jetzt bloß leeres
Rühmen zu sagen, Diplomatik gehört zu haben. Eben durch
die Praxis selbst, fundirt auf Geschichtskenntniß, läßt sich in
diesem Felde heut zu Tage etwas erwerben, und wo sollte
ich eine bessere Anleitung finden, als wenn ich das Glück
30hätte, unter den Augen des Herrn Archivraths zu arbeiten?
Das ist mehr als Universität und gerade darum ist zu hoffen,
daß der Fürst die geschehene Bitte, welche ihm einen tüchtigen
Geschäftsmann im Gewährungsfalle bilden würde, unter solchen
Auspicien gewährt.

35  Das Nächste, was im Ermangelungsfalle zu haben war, habe
ich nicht versäumt: vor allem hörte ich (was sonst kein
Student so früh thut, noch mit Nutzen thun kann,) schon im
2ten Halbjahr bei dem alten Professor Müller alt- und neudeutsches,
lausitzisches und sächsisches Lehn- und Staatsrecht,
40in welchem durch natürliche Verbindung ein ganzer diplomatischer
politischer Cursus vorkam, besonders ein fortwährender

[GAA, Bd. V, S. 120]

 


Bezug auf die alten Manuscripte zu Halle, Leipzig und
Görlitz.

  Bogen 3 der Vorstellung.

  Bei dem Sohn des Hofraths Wenk (ebenfalls ein historischer
5Jurist) hörte ich viele Collegia. Geschichte im Allgemeinen
und die der größern Staaten betreffend, ist wohl seit
meinem 17ten Jahre keine Woche bis zur gegenwärtigen vergangen,
wo ich nicht in verschiedenen Sprachen wenigstens
drei bis vier Bände guter Schriften darüber studirt habe. Dies
10ist in der Stadt wohl eben nicht unbekannt, ich bin aber
jedenfalls erbötig, das strengste Examen stündlich
darüber gegen mich ergehen zulassen.
Ja, wird es irgend bedungen, so kann ich hoffen, mich binnen
Kurzem, oder sofort, zum s. g. Doctor, eigentlich Magister,
15der historischen Classe einer philosophischen Facultät erheben
zu können, was ich bloß unterlassen habe, weil man einestheils
den Doctorhut mit Recht hier nicht respectirt, anderntheils
zu viel Kosten bevorstanden.

  Geschichtliche Collegien hörte ich bei: Pölitz, Kruse (in
20Leipzig, Verf. der Tabellen und Karten über das Mittelalter),
Beck, Böttiger (jetzt nach Erlangen berufen), Wieland, Wilkens,
fast aus allen Zeiträumen, — gestehe aber dabei, daß
ich in diesen Collegien, für die Masse berechnet, nichts Neues
erfuhr, und eben deßhalb mein Studium auf meinen Privatfleiß,
25dessen Früchte ich gern durch ein Exa-
men documentiren würde, immermehr zurückziehen
mußte. Mit dem Professor Raumer in Berlin (Verf. der Hohenstaufen)
ward ich persönlich bekannt.

  Eben dieser Bekanntschaft mit dem Professor Wendt in
30Leipzig, unter welchem die Universitätsbibliothek mit ihren
Manuscripten steht, mit dem Bürgermeister und Hofrath Blümner
daselbst, der über die Rathsbibliothek gebietet, verdanke
ich nicht den kleinsten Theil einer im Ganzen vielleicht unbedeutenden
historisch-literarischen Bildung.

35  In Dresden vollends, wo die zahlreichste und manuscriptenvollste
Büchersammlung Deutschland's sich befindet, hatte ich
nicht nur die tägliche Gelegenheit, dieselbe zu benutzen, sondern
erhielt im Gespräch mit dem Prof. Kruse (aus Halle),
mit dem Hofrath Tieck, der viele Lebensjahre bloß dem
40Studio des Mittelalters widmete, auch mit v. d. Hagen (aus
Breslau) die belehrendsten Ermunterungen.

[GAA, Bd. V, S. 121]

 


  Die Lippische Geschichte betreffend muß ich dieselbe schon
wegen vieler juristischer Fälle möglichst studiren, kann aber,
bei Ermangelung vollständiger Schriften, wiederum eben nur
unter Anleitung des Herrn Archivraths das Genügende lernen,
5er ist der Einzige, der dabei Aufschluß geben kann.

  Ueber meine juristischen Kenntnisse beziehe ich mich nöthigen
Falls auf die hiesigen Obergerichte, besonders da ich glauben
darf, daß die ersteren wirklich jährlich zunehmen. Auch
glaube ich, ein Archivar, der kein guter Jurist wäre, ist nicht
10denkbar. Die Zeiten sind so, daß die Vereinigung eines Juristen,
Historikers und sprachlich gebildeten Mannes, welche
Dreiheit sich wohl nirgends besser als mit der Hülfe des Herrn
Archivraths Clostermeier erwerben läßt, von Ersprießlichkeit
seyn dürfte.

15  Alles dies ist nur zum beliebigen Ansehen hingesetzt, und
es wird um Verzeihung gebeten, wenn der Ton hier und da
zu stark scheinen sollte, was so leicht eintritt, wenn man von
sich reden muß.
                                   
[Detmold, 27. August 1826.]    Grabbe.