Nr. 67, siehe GAA, Bd. V, S. 77 | 27. April 1823 | | Ludwig Christian Gustorf (Berlin) an Christian Dietrich Grabbe (Dresden) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| 25 [Berlin] Den 27ten April 23. Lange lag Heine in seinen erfindungsreichen Betten, die Tage zählend, u. wieder zählend, schmachtend gleichsam nach dem Augenblick da seine Tragödien bei Dümmler zum Fenster hinausgucken. Endlich gucken sie, u. zwar wie wir vermutheten, 30nicht um Gotteswillen, u. da sah man nun am Tage dieser Offenbarung, Heinrich's ungefällige Gestalt selbstgefällig unter den Linden, mit Armesünder-Lilien wängelein über welche indische Glut sich ergoß sobald er vor dem Duodezbrockhaus vorbeiperipetetisirte; eine ganz andere 35Röthe als die so den Judas überkommen als er Christus am schwarzen Kreuz zu Golgatha erblickt. Aber wäre Heine des Herren Verräther gewesen, gewiß! er hätt am Kreuz ihn [GAA, Bd. V, S. 78] liebreich noch befragt, was er ihm zu Leid gethan denn hätte? — Die Tragödie William Ratcliff hat anziehende Mienen. Verlangst Du eine Critik en profil et en face? Soll ich Dir seciren wie herrlich die Form, wie dramatisch diese 5Tragödie? Soll ich Chamisseau's Sentenz „dieser Mann hat nicht allein seinen Schatten dem Teufel verkauft, sondern auch sich selbst“ commentiren? Soll ich Dich ennüyiren, u. die Hypothese vertheidigen: der Dichter müsse sein Gedicht erlebt haben od. wenigstens annähernde Zustände? Soll ich die 10Opposition hersetzen die einwendet: nur insofern müsse der wahre Poet alles erlebt haben, als er in der That lebe d. h. aus der Erbsünde stamme, dann habe er mit gesündigt u. Jahrtausende erlebt — hat Göthe wie Werther gelitten? Ei freilich! Ist er ein himmelstürmender Faust gewesen? Insofern 15er lebt, d. h. wenn seine Ahnen am babylonischen Thurm miterbauen halfen — Soll ich definiren, daß Heine im Almansor auf dem Sterbebett liege, eine Judenleiche von requiemsingenden Rabbinern umgeben? Nein Grabbe! Dann hätt ich mich selber dem Teufel übergeben; ich wär ein Rezensent, und 20triebe dumpfe Nothzucht mit der Poesie — Aber drei Tage lang hab ich die Tragödien gelobt, u. so sehr, daß Robert meinte: es sei eine wollüstige Sache seinen Feind zu loben, u. das Hand in Hand Gehen der Wollust und Grausamkeit sei damit verwandt. Nach dieser Zeit fing das Fatum mir im Maul 25sehr tragisch an zu spielen, bis gestern mich der Zahnarzt Werth kurirt ganz radikal. Abscheulicher Reformer! einen Zahn geschichtlich wohlbegründet, gebürtig in Jerusalem, u. 25 Jahre alt, mir umzustoßen. Im Schmerz da hab ich oft geträumt: ich sähe Heinen im Kuchenladen zu Madrid, das 30Benefiz des jüdschen Clerus in Beißers à la Riego schmausend. Dich aber seh ich oft, u. sehe Dich noch immer, bald schwarz bald roth im blutigrothen Schimmer. God save the Grabbe! |
| | Briefauswahl | | | Briefe von Christian Dietrich Grabbe | | | Briefe an Christian Dietrich Grabbe | | | | Nach Absendern | | | | C | Wilhelm Hermann Claepius Nr. 84, 01. März 1824 — Christian Gottlieb Clostermeier — Louise Clostermeier — Louise Christiane Clostermeier | E | Wilhelm Arnold Eschenburg Nr. 378, 16. März 1833 — Examinationskommission Nr. 86, 28. März 1824 | F | Fürstlich Lippische Regierung Nr. 111, 14. November 1826Nr. 117, 09. Januar 1827Nr. 142, 31. Dezember 1827Nr. 146, 09. Januar 1828Nr. 150, 15. Januar 1828Nr. 159, 05. Februar 1828Nr. 160, 05. Februar 1828Nr. 161, 05. Februar 1828Nr. 168, 11. März 1828Nr. 252, 22. Dezember 1829Nr. 295, 09. April 1831Nr. 300, 17. April 1831Nr. 304, 13. May 1831Nr. 309, 27. May 1831Nr. 311, 31. May 1831Nr. 317, 28. Juni 1831Nr. 325, 30. Juli 1831Nr. 355, 20. März 1832Nr. 359, 15. May 1832Nr. 372, 19. Februar 1833Nr. 375, 12. März 1833Nr. 382, 28. März 1833Nr. 394, 04. Juni 1833Nr. 395, 04. Juni 1833Nr. 397, 08. Juni 1833Nr. 399, 11. Juni 1833Nr. 402, 27. Juni 1833Nr. 410, 16. Juli 1833Nr. 415, 22. Oktober 1833Nr. 417, 31. Dezember 1833Nr. 424, 01. Februar 1834Nr. 429, 11. Februar 1834Nr. 439, 18. Februar 1834Nr. 444, 11. März 1834Nr. 449, 25. März 1834Nr. 451, 01. April 1834Nr. 454, 15. April 1834Nr. 457, 06. May 1834Nr. 458, 13. May 1834Nr. 464, 09. September 1834Nr. 469, 16. September 1834Nr. 480, 18. November 1834Nr. 87, 02. Juni 1824 — Fürstlich Lippisches Konsistorium Nr. 728, 07. September 1836 | G | Adolph Henrich Grabbe Nr. 29, 14. May 1820Nr. 30, 18. May 1820Nr. 31, 02. Juni 1820Nr. 32, 12. Juni 1820Nr. 33, 03. Juli 1820Nr. 34, 21. Juli 1820Nr. 35, 21. August 1820Nr. 36, 29. September 1820Nr. 43, 19. May 1822Nr. 47, 10. September 1822Nr. 54, 25. Dezember 1822Nr. 56, 05. Februar 1823Nr. 58, 18. Februar 1823Nr. 61, 28. März 1823Nr. 66, 25. April 1823Nr. 70, 30. May 1823 — Louise Christiane Grabbe — freunde Nr. 65, 24. April 1823 — Ludwig Christian Gustorf | H | Otto Carl August Ludwig Höpffner Nr. 62, 04. April 1823 — Johann Wilhelm von Hoffmann Nr. 379, 17. März 1833 | I | Karl Leberecht Immermann | J | Gotthelf Heinrich Jacobi Nr. 49, 21. November 1822 | K | Johann Karl August Kestner Nr. 178, 28. März 1828 — Karl Köchy | L | Fürst Leopold zur Lippe II. — Witwe Lohse Nr. 79, 23. November 1823 | M | Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 22, 03. März 1818 | P | Moritz Leopold Petri Nr. 700, 05. May 1836 | R | Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg | S | Carl Georg Schreiner | T | Ludwig Tieck Nr. 51, 06. Dezember 1822 |
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