Nr. 92, siehe GAA, Bd. V, S. 112 | 03. April 1826 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Christian Gottlieb Clostermeier (Detmold) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Verehrtester Herr Archivrath! Die einfachste Sprache bleibt gewiß die beste, und darum versichere ich, daß mir kaum etwas so unerwartet und doch so hocherwünscht erschienen ist, als die Theilnahme und das Zutrauen, 5womit Sie mich beehren. Ich gestehe frei, daß ich den Grund, aus dem Sie mir eine solche Zuneigung schenken, nur darin vermuthen kann, daß Ihr Blick aus einzelnen Zügen meinen Charakter und meine Lebensverhältnisse scharfsinnig zusammengesetzt und zu 10meinem Vortheil erklärt hat. Denn ich weiß zu gut, daß ich mich Ihnen nie eben im nächsten und besten Lichte zeigte. Die Erklärung ist leicht: als Kind, selbst noch als Student fühlte ich gegen Sie, verehrtester Herr, die geziemendste Hochachtung, aber nicht ohne Mischung einer zum Theil aus 15Blödigkeit herstammenden Scheu; sie hielt jede Annäherung ab. Späterhin und noch jetzt täglich, erkannte ich recht wohl, daß mir nichts mehr noth thun möchte, als die Bekämpfung meines leidenschaftlichen und extremen Wesens; da mußte freilich jene kindische Furcht verschwinden und einer wahren Verehrung 20allein den Platz lassen. Wo hatte ich aber in den letzteren Jahren die Gelegenheit, diese gehörig zu äußern? Sich von selbst aufzudrängen und einen Mann, der weder unseres Beifalls, unserer Achtungsbezeugung, oder unserer Hülfe bedarf, mit Ersterem zu überschütten, 25beweis't in meinen Augen an dem Aufdringlichen die offenbarste Absichtlichkeit und Falschheit. Ueberdem voll Mißtrauens gegen mich selbst, ist es mir immer schwer gewesen, zu glauben, meine Bekanntschaft könne einem Dritten irgend angenehm seyn, fast, ich läugne es nicht, ist es mir dadurch 30zur andern Natur geworden, nur sehr langsam mit Jedem, den ich nicht von Jugend auf kannte, vertrauter zu werden, ich glaube nicht einmal, daß in Detmold jetzt ein einziger Schulgenosse lebt, mit dem ich auch nur in etwas in solchem Verhältnisse stände. Um wie viel minder konnte es mir 35in den Sinn kommen, an einem angesehenen Gelehrten und Geschäftsmann einen stillen und so günstigen Beobachter zu besitzen. Dabei bekenne ich offen, daß die Verhältnisse sich so gewendet hatten, daß ich schon längst fürchtete, Sie hätten [GAA, Bd. V, S. 113] mich, wo nicht aufgegeben, doch bei Seite gelegt. Dies kam mir schon damals so vor, als ich, bei einer Ferienanwesenheit in Detmold, die Albernheit hatte, Ihnen selbst zu verschweigen, daß ich nach Berlin reisen würde, und meinen 5Vater zu bitten, Sie gelegentlich damit bekannt zu machen. Es wäre ein Zeichen fortdauernder Schwäche, wenn ich dies Benehmen noch jetzt entschuldigte: es bleibt an und für sich stets sehr mattherzig. Die Motive, von denen ich mich aber nicht hätte leiten lassen dürfen, waren indeß wohl vornehmlich: 10die alte blöde Scheu, welche mir das Wort mehrmals im Aussprechen zurückhielt, und die übereilte Ueberzeugung jetzt: einen ganz selbstständigen Wirkungskreis suchen zu müssen, indem ich bei der damaligen Errichtung der Bibliothek sowohl den Bibliothekar durch Sie auserwählt fand, als auch 15hierüber unendlich weiter combinirte. Wie konnten Sie, verehrter Herr, aber an mich nur denken, der ich noch nicht ausstudirt hatte? Auch würde ich, wenn ich Ihrer Zuneigung wirklich würdig gewesen wäre, nicht Ihnen, sondern den Umständen haben Vorwürfe machen können. 20 Ich bin zu jedem Dienst, den Sie mir auflegen wollen, erbötig, und bitte nur zu fordern und zu befehlen. Mir darf nie die Wahl gelassen werden, sonst fürchte ich in allen Anerbietungen, wenn auch noch so gut gemeint, zu beleidigen. Selbst Besuche habe ich vorzugsweise deshalb immer gescheut, 25weil ich fest überzeugt war, bloß Langeweile zu verursachen. Auch will ich nicht verhehlen, wen Sie im Ganzen an mir finden, obgleich eine Selbstschilderung stets nach Selbstlob lautet und lauten muß, weil sie sonst affectirt klänge. Ich besitze ein ziemlich gutes Gedächtniß, kann auch leicht etwas 30lernen, aber fast nur so, daß mir eine Masse zugewiesen wird und ich diese selbstständig, ohne fremde Specialleitung bearbeite, und nur da, wo ich unüberwindliche Schwierigkeiten fühle, um Belehrung anfragen darf; meine ehedem sehr heftige Phantasie hat mir bis jetzt viel geschadet, aber auch in so 35fern genützt, als ich all meinen Verstand schärfen und aufbieten mußte, sie zu zügeln; dadurch bin ich der Selbstbeherrschung näher gekommen, und ich habe mich kennen lernen, das beste Mittel gegen Dünkel und Eitelkeit; mein Charakter ist, wenn man ihn im Allgemeinen nimmt, wohl nicht zu den 40schwankenden zu zählen, und ich gestehe, daß ich das Böse zwar hasse, aber Gemeinheit und Schwäche mir an Anderen [GAA, Bd. V, S. 114] das Widerlichste auf Erden ist; mein Wissen ist großes, meist unnützes Stückwerk. Dieses Schreiben ist mir ohne Absichtlichkeit, wie es hier steht, aus dem Herzen geflossen, und ich wünschte, daß es so 5aufgenommen würde. Das letzte Resultat ist: daß ich mich jedem Ihrer Beschlüsse unterwerfe und auch jedem Winke zu folgen bereit bin. Für meine Dankbarkeit, an welcher Sie freilich nur den bewiesenen guten Willen schätzen könnten, glaube ich bürgen zu dürfen. 10 Lieb wäre es mir nicht, wenn mein Vater diesen Brief zu sehen bekäme, obgleich ich Sie durchaus nicht verhindern will, ihn nach Gutfinden als ein Document zu gebrauchen, welches künftig gegen mich zeugen kann. Er ist zu Ihrer vollsten Disposition gegeben. Ich bin, | | Hochverehrtester Herr Archivrath | Detmold, den 3. | | Ew. Wohlgeboren | April 1826. | | gehorsamster Ch. Grabbe. |
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| | Briefauswahl | | | Briefe von Christian Dietrich Grabbe | | | Briefe an Christian Dietrich Grabbe | | | | Nach Absendern | | | | C | Wilhelm Hermann Claepius Nr. 84, 01. März 1824 — Christian Gottlieb Clostermeier — Louise Clostermeier — Louise Christiane Clostermeier | E | Wilhelm Arnold Eschenburg Nr. 378, 16. März 1833 — Examinationskommission Nr. 86, 28. März 1824 | F | Fürstlich Lippische Regierung Nr. 111, 14. November 1826Nr. 117, 09. Januar 1827Nr. 142, 31. Dezember 1827Nr. 146, 09. Januar 1828Nr. 150, 15. Januar 1828Nr. 159, 05. Februar 1828Nr. 160, 05. Februar 1828Nr. 161, 05. Februar 1828Nr. 168, 11. März 1828Nr. 252, 22. Dezember 1829Nr. 295, 09. April 1831Nr. 300, 17. April 1831Nr. 304, 13. May 1831Nr. 309, 27. May 1831Nr. 311, 31. May 1831Nr. 317, 28. Juni 1831Nr. 325, 30. Juli 1831Nr. 355, 20. März 1832Nr. 359, 15. May 1832Nr. 372, 19. Februar 1833Nr. 375, 12. März 1833Nr. 382, 28. März 1833Nr. 394, 04. Juni 1833Nr. 395, 04. Juni 1833Nr. 397, 08. Juni 1833Nr. 399, 11. Juni 1833Nr. 402, 27. Juni 1833Nr. 410, 16. Juli 1833Nr. 415, 22. Oktober 1833Nr. 417, 31. Dezember 1833Nr. 424, 01. Februar 1834Nr. 429, 11. Februar 1834Nr. 439, 18. Februar 1834Nr. 444, 11. März 1834Nr. 449, 25. März 1834Nr. 451, 01. April 1834Nr. 454, 15. April 1834Nr. 457, 06. May 1834Nr. 458, 13. May 1834Nr. 464, 09. September 1834Nr. 469, 16. September 1834Nr. 480, 18. November 1834Nr. 87, 02. Juni 1824 — Fürstlich Lippisches Konsistorium Nr. 728, 07. September 1836 | G | Adolph Henrich Grabbe Nr. 29, 14. May 1820Nr. 30, 18. May 1820Nr. 31, 02. Juni 1820Nr. 32, 12. Juni 1820Nr. 33, 03. Juli 1820Nr. 34, 21. Juli 1820Nr. 35, 21. August 1820Nr. 36, 29. September 1820Nr. 43, 19. May 1822Nr. 47, 10. September 1822Nr. 54, 25. Dezember 1822Nr. 56, 05. Februar 1823Nr. 58, 18. Februar 1823Nr. 61, 28. März 1823Nr. 66, 25. April 1823Nr. 70, 30. May 1823 — Louise Christiane Grabbe — freunde Nr. 65, 24. April 1823 — Ludwig Christian Gustorf | H | Otto Carl August Ludwig Höpffner Nr. 62, 04. April 1823 — Johann Wilhelm von Hoffmann Nr. 379, 17. März 1833 | I | Karl Leberecht Immermann | J | Gotthelf Heinrich Jacobi Nr. 49, 21. November 1822 | K | Johann Karl August Kestner Nr. 178, 28. März 1828 — Karl Köchy | L | Fürst Leopold zur Lippe II. — Witwe Lohse Nr. 79, 23. November 1823 | M | Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 22, 03. März 1818 | P | Moritz Leopold Petri Nr. 700, 05. May 1836 | R | Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg | S | Carl Georg Schreiner | T | Ludwig Tieck Nr. 51, 06. Dezember 1822 |
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