Louise Christiane Grabbe (Detmold) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief
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Detmold, am 13ten Febr. 1836. 15 Hochwohlgeborner, Hochzuverehrender Herr Oberlandesgerichtsrath! Bittend wende ich mich an Ihre Herzensgüte u. hoffe Verzeihung von derselben. Ich bin die unglückliche Frau des Auditeurs Grabbe. Und wenn gleich das Conterfei, was er 20Ihnen von mir entworfen, mich in einem, mir ungünstigen, Lichte darstellt, so tröste ich mich dennoch Ihr Herz werde für mich sprechen u. mir eine, über jede Anschuldigung meines Mannes erhabene, Stellung einräumen. Einst vor Jahren las ich die auf mich Eindruck gemachten 25Worte von Schaller: „Ist dein Gewissen mit dir zufrieden, so sind es die bessern unter den Menschen. pp“ So suche ich mich zu beruhigen, und Sie kennen mich nicht einmal. 30 Unter dem 9ten v. M., wie ich gerade im Begriff stand, meine gerechten Beschwerden gegen meinen Mann bei der Obrigkeit anhängig zu machen, erhielt ich vom Herrn Stang zu Düsseldorf ein Schreiben, in welchem mich derselbe zu einer offenherzigen Mittheilung meiner ehelichen Verhältnisse 35auffordert, indem er mir bezeugt, daß er beabsichtige eine
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Aussöhnung zwischen meinem Manne u. mir zu bewirken. Nachdem ich nun dessen Wunsche nachgekommen u. mich über das ausgesprochen, was ich von meinem Manne verlange — nämlich Sicherstellung meines Vermögens — fühlt sich nunmehr 5Hr. Stang, der, um mich vor Nachtheil zu bewahren, meinem Manne meine Mittheilung sorgfältig verborgen, zum Vollenden seines edeln Vorsatzes außer Stande; hält sich aber überzeugt, daß von Grabbe nur einzig und allein durch Ew. Hochwohlgeboren gewogentliche Vermittelung ein gütlicher 10Vergleich zu erlangen sei. Und giebt mir auch zugleich den Muth zum Ueberwinden meiner Schüchternheit u. ich nahe mich Ihnen vertrauensvoll mit der heißen Bitte um dieselbe. Nach der Versicherung des Hrn. Stang haben Sie meinen Mann durch Ihr unschätzbares Wohlwollen beglückt u. ihn 15auch schon zu einer gütlichen Auseinandersetzung mit mir zu bewegen gesucht. In beiden erkenne ich Ihre Herzensgüte u. ich spreche aus tiefster Seele: ich danke Ihnen! Um mir die Wiederholung dessen, was ich über meine Lage gesagt, zu ersparen, will Hr. St. gütigst Ihnen mein Schreiben 20mittheilen. Ich muß aber besorgen, daß ich mich undeutlich ausgedrückt. Denn Hr. St. glaubt in seiner Antwort, daß eine Wiedervereinigung mit meinem Manne wünschenswerth sei, u. fordert mich selbst auf ihn zu einer solchen einzuladen. Aber diese ist nach der unwürdigen Behandlung, die ich mit 25unendlicher Langmuth erduldet, unmöglich; ich müßte mir denn anders das Grab selbst öffnen wollen. Ueberhaupt würde Grabbe mit der Rückkunft in die Vaterstadt nicht nur mit schnellen Schritten den gänzlichen Untergang entgegen eilen, sondern auch mich vollends mit in denselben herabziehen. 30Diejenigen, die er hier in der Regel seine Freunde nennt, führen ihn, jedoch indirect, ins Verderben. Ich meine übrigens, ich hätte mich hierüber gegen Hrn. St. umständlich ausgesprochen, kann mich aber wohl irren. Denn ich empfing dessen Schreiben auf dem Krankenbette u. der Schrecken über die 35Aeußerung „Grabbe beabsichtige in die Heimath zurückzukehren “ versetzte mich in einen, nahe an Geistesabwesenheit gränzenden Zustand. So bald ich mich erholt, schrieb ich so fort, während der heftigsten Zahnschmerzen, um Hrn. St. nicht harren zu lassen, u. kann daher bei der Eile mich wohl 40verwirrt ausgedrückt haben. Der 2te Brief des Hrn. St. hat mich aber von meiner Angst wieder befreit.
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Um jedem Mißverständniß vorzubeugen wiederhole ich, daß ich die hier landesgesetzlich bestehende eheliche Gütergemeinschaft mit meinem Manne unter dessen Versprechen eingegangen bin, mir die Disposition über mein geringes Vermögen, 5so wie dessen Administration belassen zu wollen. Nachdem nun mein Mann mit seiner Dienstniederlegung auch den sichern Lebensunterhalt aufgegeben und mir (bis auf ein einziges 100 Thlr.) die Beweise geworden, daß er alles, was er in die Gemeinschaft gebracht, verschwendet, verlangte 10ich von ihm, um mich nicht ganz dem Elend zu überlassen, nach dem §. 3. der Verordnung wegen der Gütergemeinschaft, Ausschließung derselben durch wechselseitige Zurücknahme des Eingebrachten. Und unter der Voraussetzung einer ähnlichen Verfügung versprach ich ihm dagegen, daß ich ihm, falls ich 15vor ihm versterben sollte, durch ein Testament das Einkommen von meinem Vermögen lebenslänglich zusichern werde, u. daß meine Disposition über dasselbe erst nach seinem Leben in Erfüllung gehen solle. Er weigerte sich aber u. kränkte mich dabei durch die gröbsten unwahren Behauptungen auf das 20Entsetzlichste. Ich forderte nunmehr, in Folge seiner Weigerung, gerichtliche Festsetzung des mir vor unserer Ehe geleisteten, oben erwähnten, Versprechens durch Verzichtleistung auf das ihm nach dem §. 9. der Verordnung wegen der Gütergemeinschaft zustehende Vorrecht der Administration des Gemeinguts. 25Und im fernern Weigerungsfall erklärte ich ihm, daß ich gegen ihn zur Obrigkeit schreiten werde. Denn nach dem §. 9. der gedachten Verordnung stehet dem Manne das Vorrecht der Administration nur so lange zu, bis die Frau dessen Handlungen aus gegründeten Ursachen gerichtlich widerspricht. 30 Aber gänzlich erfolglos; er blieb bei seinem Eigensinn. Und im schmerzlichen Gefühl der Folgen jenes Schrittes zur Obrigkeit, erinnerte ich ihn an die Vergangenheit, wie er unzählige mal heilig geschworen mich glücklich machen zu wollen. Wie 35er nach dem Scheiden meiner engelguten Muter, mit welcher ich das letzte Lebensglück verloren, oft wiederholt in tiefster Bewegung, so daß ihm der Schweiß von der Stirn geflossen, vor mir gestanden u. gesprochen: „ach, Sie Gute, Liebe! die Ehe ist das einzige Glück, die einzige Wonne des Lebens! Wir 40sind beide unglücklich, lassen Sie uns, uns Unglückliche vereinigen pp.“ Und wie er dann, wann ich ihm Gegenvorstellungen
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gemacht, mir jedesmal eine Menge Blumen in Töpfen geschickt, u. wenn er erkannt, mich erzürnt zu haben, mir stets versöhnende Worte geschrieben pp. Ich stellte ihm ferner vor: es dürfe ihm als rechtschaffner Mann der heiße Wunsch 5seiner Frau, ihre Subsistenz — durch das, was ihre guten Aeltern ihr für diese sauer erworben — gesichert zu wissen, um so weniger befremden, da er durch seine Schritte die größte Veranlassung zu den bängsten Besorgnissen ihr gegeben. Von meinen beiden letzten Briefen an Grabbe vom 4ten 10u. 28sten März 1835 hat eine Freundinn von mir, vor dem Postabgang, Abschrift genommen u. mir hiernächst gütigst mitgetheilt. Ich habe alles gethan um ihm meine schutzlose, verzweiflungsvolle Lage zu schildern u. ihm auseinander zu setzen, 15wie das gesicherte Vermögen sein eigner wahrer Vortheil sei. Aber umsonst, er ist hart wie Stein; nur allein durch Furchteinflößen ist er zur Vernunft zu bringen u. dazu fehlt mir die Autorität. Hätte Grabbe wohl nicht bei seiner Dienstniederlegung den 20Fürsten bitten müssen, mir die 100 Thlr. Pension wieder zu verleihen, welche ich mit meiner Ehe eingebüßt? Aber das lies der unglückselige Drang zum Großthun nicht zu, u. so hat er mich mit kaltem Blute dem Mangel überlassen u. blos mit dem leeren Versprechen, mir wenigstens 100 Thlr. von 25seinem Erwerb mittheilen zu wollen, zu beruhigen sich bemüht. Ich bin mit Hrn. Stang vollkommen überzeugt, daß nur allein durch Ew. Hochwohlgeboren gütige Vermittelung ein Vergleich erwirkt werden kann. Sie haben Grabbe mit Ihrer Theilnahme beglückt, u. er verehrt u. fürchtet Sie zugleich. 30Und ohne Furcht zu erregen, erlangt man bei ihm nichts. Das Ungestüm, mit dem er mich behandelt, fand auch zu nächst seinen Grund in meiner schutzlosen Lage, indem meine theuren Angehörigen sämmtlich in das Land der ewigen Ruhe eingewandert sind, u. er somit niemand mehr zu 35fürchten hatte. Dies hat er mir oft mit Thränen eingestanden, u. sich mit seiner stets übeln Laune zu entschuldigen gesucht. Entziehen Sie, hochgeehrtester Herr Oberlandesgerichtsrath! dem unglücklichen Manne bei seinen Unarten Ihr Wohlwollen u. Ihre Theilnahme nicht. Er steht allein! Ermuntern Sie ihn 40gütigst zum Fleiß, denn er ist leider! zum Gegentheil geneigt, u. er muß erwerben!
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Bewundert habe ich bereits den glücklichen Einfluß, den Sie in Hinsicht auf die Verbesserung seines Hannibal's geäußert, u. ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür! Nehmen Sie den Unglücklichen ferner unter Ihre liebevolle 5Obhut; aber glauben Sie niemals seinen Betheurungen. Denn alles, was er spricht, ist, ehrlich gesagt, nichts anderes, als Hirngespinst u. Lüge. Sie werden, wenn Sie ihm einmal geglaubt, sicher noch nach Jahren erfahren, daß er Sie getäuscht. Durch scheinbare Gutmüthigkeit hat er mich vor der Ehe 10getäuscht; aber er täuscht mich in derselben nicht zum zweitenmal. Er verläugnet beständig seine Gefühle, weil er meint, er müsse sich ihrer schämen, u. spricht stets anders, als er denkt. Aber durch unermüdet angewendete List, kommt man endlich der Wahrheit auf die Spur. 15 Erhalten Sie ihn gütigst in der Furcht; er liebt, so lange er fürchtet. Sollte Ew. Hochwohlgeboren Menschenfreundlichkeit, meine Bitte zu erfüllen, sich geneigt finden lassen, so erlaube ich mir gehorsamst zu bemerken, daß, wenn Grabbe die Gütergemeinschaft 20durch wechselseitige Zurücknahme des Eingebrachten nicht ausschließen will, die von ihm auszustellende Urkunde im Wesentlichen so lauten müsse: „Ich übertrage meiner Ehefrau die Disposition über das gemeinsame Vermögen u. leiste auf das 25mir, nach dem §. 9. der Verordnung wegen der Gütergemeinschaft unter Eheleuten, zustehende Vorrecht der Administration des Gemeinguts hierdurch Verzicht.“ Ein Rechtsgelehrter hat mich aufmerksam gemacht, daß bei 30der Verzichtleistung die überlassene Vermögens- disposition nothwendig ausgesprochen werden müsse. Dies sei hier bei ähnlichen Fällen immer beobachtet worden. Da Ew. Hochwohlgeboren sich schon einmal bei Grabbe gütigst für mich verwendet haben, so wird es ihn nicht befremden, 35wenn Sie noch einmal wieder auf die Sache zurückkommen. Aber er wird sich wundern, daß Sie wissen, daß es der §. 9. unserer Verordnung ist, auf welchen es hier ankömmt. Ich fürchte seinen Argwohn; überlasse aber alles getrost Ihrer weisen Einsicht. Uebrigens bitte ich Sie angelegentlichst um 40das Geheimhalten dieser Zuschrift, ebenso wie derjenigen an den Hrn. Stang.
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Wenn Grabbe auf mich schmäht, so nehmen Sie sich doch gütigst meiner an. Sie werden nach einem, jedoch schweren, Kampfe sich überzeugen, daß er mir Unrecht gethan. Denn er wird Ihnen endlich, wenn Sie rastlos behauptet, be- 5stimmt das Gegenteil zu wissen, mit Thränen eingestehn, daß Sie recht haben. Allein nach so einem Kampfe kommt die Wahrheit von ihm an das Licht. Er entschuldigt sich dann immer mit seinem unglückseligen Temperament, — seinem zerrissenen Herzen pp. 10 Wenn nun Grabbe, gegen alles Hoffen, ferner noch halsstarrig bleiben sollte; dann muß freilich die Obrigkeit entscheiden; u. er wird bereuen, wann es zu spät ist. Ich wasche dann meine Hände in Unschuld; ich habe alles Mögliche gethan. Ewige Ferne ist die nächste Folge. 15 Die Unbescheidenheit, mit welcher ich mich an Sie gewendet, läßt sich nicht entschuldigen; ich darf Sie, hochgeehrtester Herr Oberlandesgerichtsrath! nur noch einmal aus Herzensgrund um Verzeihung bitten. Sollte Ihre Gewogenheit geneigt seyn, mich durch einige 20Zeilen Ihrer Hand beglücken zu wollen — ich möchte mich dieser Huld bei meinem freudelosen Daseyn so gern rühmen dürfen — so bitte ich Sie angelegentlichst Ihr gefälliges Schreiben doch ja mit Oblaten wohl zu verwahren, um eine etwaige Eröffnung, von unberufener Hand, unmöglich zu 25machen. Erfahrungen veranlassen mich zu dieser gehorsamsten Bitte. Vertrauensvoll empfehle ich mich Ihrem Wohlwollen und verharre mit der ausgezeichnetesten Verehrung Hochwohlgeboren 30 Grabbe.
Wilhelm Arnold Eschenburg — Obristleutnant Friedrich Adolph Böger — Christian von Meien — Fürstlich Lippische Regierung — Karl Friedrich Simon GroskopfNr. 456, 28. April 1834 — Heinrich Christian Albrecht ClemenNr. 489, 13. Dezember 1834
1835
Karl Leberecht Immermann — Carl Georg Schreiner — Louise Christiane Grabbe