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Nr. 76, siehe GAA, Bd. V, S. 91thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Ludwig Tieck (Dresden)
Brief

                Handschrift Verehrtester Herr!

20  Jetzt erst, nachdem ich alles versucht und abgemacht habe,
kann und darf ich Ihnen schreiben. — Mich übermannt die
Erinnerung an den vergangenen Frühling, wo ich so ruhig
und beglückt in Ihrer Nähe lebte. Wenn ich nur nicht fürchten
müßte, daß Sie meiner Persönlichkeit nicht eben mit angenehmen
25Gefühlen gedächten! Gleich zu Anfang machte mich
das Bewußtseyn, Ihnen mit meinem Vorlesen mißfallen zu
haben, scheu und verlegen, und als Sie dennoch fortfuhren
sich so sichtbar für mich zu interessiren, artete meine Verlegenheit
und Dankbarkeit fast in Tölpelhaftigkeit aus. Verzeihen
30Sie, daß ich nochmals Handschrift über dieß Thema zu sprechen
wagte; es liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen! — Als ich
von Dresden abreis'te, war es mir, als sollte ich durch eine
Tonne mit zwei Papierböden (Braunschweig und Leipzig) auf
das harte Steinpflaster fallen. Wie ein Ertrinkender sich an
35jedem Grashälmchen festhält, hielt ich mich an jedem Augenblicke
fest. Die Einladung mehrerer Universitätsfreunde, einige
Wochen bei ihnen zu logiren, war mir hoch willkommen,
weil sie die Zeit meines Sturzes zu verschieben schien. Mit

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Mühe riß ich mich endlich los und eilte weiter, indem ich
mich unterwegs mit der Erinnerung begnügte. So kam ich
nach Handschrift Braunschweig und fand in dem Doctor Köchy einen
treuen Helfer; aber noch besser und sicherer nützte mir Ihr
5Brief, geliebtester Meister. Eine Anstellung wurde mir zwar
schon beim ersten Besuche, den ich Klingemann machte, unbedingt
versagt, und ich saß grade zerstört und hoffnungslos
auf meinem Zimmer im Gasthofe, als mir die tröstende Nachricht
gebracht wurde, daß mir die Theaterdirection auf Veranlassung
10Ihrer Empfehlung, für eins meiner Schauspiele
30 rthlr. geben wolle. Ich reichte Nannette und Maria, welches
ich gut abgeschrieben bei mir hatte, dafür hin, und unter der
ausdrücklichen Erlaubniß, es dennoch drucken zu lassen, wann
es mir gefiele, ward es Handschrift angenommen. Nun konnte ich nach
15Hannover reisen und dort mein Glück versuchen; ich habe
jedoch immer ein bischen Unglück, und so war denn der Freiherr
von Grothe, welcher dort alles gilt, am Morgen meiner
Ankunft abgereis't. Jetzt gingen meine Hoffnungen auf das
Theater zu Bremen, und ich wäre dahin gereist, wenn nicht
20meine Baarschaft bis auf siebzehn Thaler zusammengeschmolzen
wäre; ich hielt es also für besser, mich aufzumachen, allen
Hohn zu ertragen und meinen Eltern zwölf Thaler Geld zu
bringen. Wenn ich meine Mutter nicht zu sehr liebte, so würde
ich ihr die elenden Zweigroschenstücke auf der Post geschickt
25und für mich einen Handschrift edleren Weg eingeschlagen haben; ich hätte
nämlich blind und dreist mein Geschick versucht; aber wenn
sie nicht wüßte, wo ich wäre und was ich triebe, so würde es
ihr seyn, als wenn ihr ein Arm fehlte. So schlich ich mich
Nachts um 11 Uhr in das verwünschte Detmold ein, weckte
30meine Eltern aus dem Schlafe, und ward von ihnen, denen
ich ihr ganzes kleines Vermögen weggesogen, die ich so oft
mit leeren Hoffnungen getäuscht, die meinetwegen von der
halben Stadt verspottet werden, mit Freudenthränen empfangen.
Ja, ich mußte mich noch obendrein mit der plumpsten
35Grobheit waffnen, weil ich sonst in das heftigste Weinen
Handschrift ausgebrochen wäre und eine ifflandische Scene aufgeführt
hätte. — Nun sitze ich hier in einer engen Kammer, ziehe
die Gardinen vor, damit mich die Nachbarn nicht sehn, und
weiß keine Menschen in den gesammten lippischen Landen,
40denen ich mich deutlich machen könnte, selbst dem Herrn
Pastor Pustkuchen nicht. Mein Malheur besteht einzig darin,

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daß ich in keiner größern Stadt, sondern in einer Gegend
geboren bin, wo man einen gebildeten Menschen für einen
verschlechterten Mastochsen hält. — Ich fürchte, ich fürchte,
daß Sie, theuerster Herr, es bereuen, jemals einige Theilnahme
5für mich geäußert zu haben, weil ich Sie mit Handschrift diesen Erzählungen
meiner Leiden beschwere. Ich bitte Sie aber, sich
wenigstens um mich keine Mühe zu geben; höchstens ersuche
ich Sie, wenn Sie irgend eine theatralische, juristische, schriftstellerische
oder abschreiberische Carriere kennten, die mit
10meiner Person zu besetzen wäre und ohngefähr 150 rthlr.
einbrächte, an mich zu denken. Ich habe oft gehofft, daß ich
in Berlin zum Beispiel, bei einem Haltpuncte von einigen
Groschen täglich, am ersten vorwärts kommen würde. —
Was meine Autorschaft betrifft, so konnte ich bei meinen
15Umständen nur wenig leisten; die letzten Acte des Sulla,
welche ich umarbeite und etwas ernstlicher nehme als die
drei ersten, sind noch nicht vollendet; die Handschrift Idee zu einem
anderen Faust, der mit dem Don Juan zusammentrifft, entwickelt
sich in meinem Gehirnkasten mehr und mehr; ich
20habe in Bezug auf dieses Stück dem heiteren Humor, der
das Tragische im Hamlet so mildernd durchweht, fleißig nachgespürt.
An einer erträglichen, für unsre Zeit passenden Erzählung,
soll es mir auch nicht fehlen, wenn ich erst nur ein
wenig von dem edlen Ton Ihrer Novellen in der Gewalt
25hätte. — — Als ich nach Braunschweig kam, eilte ich zuerst
zu Vieweg, um Ihren Auftrag zu vollziehen; Ihr Name verschaffte
mir einen außerordentlich höflichen Empfang, und
man Handschrift Handschrift versicherte, die Bücher an den leipziger Commissionär
von Hilscher abgeschickt zu haben, aber sie müßten unterwegs
30verloren gegangen seyn. Ich wollte, ich hätte sie gefunden! —
Ich bin sehr verzagt und suche die Hoffnung einer baldigen
Antwort in mir zu vertilgen; alles Heil und Glück Ihnen,
Ihrer Gemahlinn, Ihren Töchtern und Ihrem ganzen Hause! —
Immer verbleibe ich

35                Ihr

Detmold den 29sten

          Aug. 1823. hochachtungsvollster Verehrer
Ch. Grabbe

(Adresse: Ch. Grabbe, stud. jur., in Detmold.)

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