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[GAA, Bd. IV, S. 127]

 


[S. 12] Erstdruck IV.
Töpfer und Calderons Leben ein Traum.

Dann bemerkte ich am ersten und an den folgenden Theaterabenden
ein mir sonst selten vorgekommenes markiges Auffassen
5der einzelnen Rollen, ihrer Situationen und Passagen;
selbst aus Töpferischen Geburten entpuppten sich Menschen,
denn die Schauspieler schienen die Charactere noch grad an
den Fasern gefass't zu haben, welche etwas Natur und Persönlichkeit
verrathen, und webten mit ihnen in dergleichen
10sackgrobe Rollen anmuthige Züge und möglichste Wahrheit.

  Kurz darauf ward Calderons Leben ein Traum angekündigt.
Nun galt's, wie diese im Conversationsstück gewandten
Leute, auf dem fremdartigen, echten spanischen Cothurn und
Soccus sich zeigten, denn das Stück ward nach der Uebersetzung
15von Gries gegeben, nicht nach Schreivogels Kukkuksei.
Eine Symphonie Beethovens ging voran, und paßlich. Ihre
Kühnheit, und doch feine Verwicklung, deuteten die Stärke
und Berechnung an, mit welchen dieses Schauspiel gedich[S.
13] Erstdruck tet ist, und heut in die Scene trat. Nichts am Poeten
20geändert, aus der romantischen Wildniß kein Kaffeegärtchen
gemacht, damit das modische Geschlecht sich darin verspaziere,
langweilig sich und Anderen. Calderon verlegt die Scene nach
Polen; Schreivogel und sein Nacheiferer Zahlhaas, fliegen oder
laufen, ihren resp. Naturen gemäß, nach einem geographischen
25Compendium, vergleichen, und finden den Ort der Handlung
unnatürlich, ungelehrt gewählt, werfen dem Dichter das
Stück in's Gesicht, nach Spanien zurück, von wo er es nicht
ohne Ursach fern gehalten. Die dem Katholicismus zuwiderlaufenden
Schicksalsideen, Sigismunds Behandlung seines Vaters
30und Königs, seine anfängliche Wildheit gegen die Damen,
waren unter Spaniern, aus Calderons Zeit, nicht denkbar. Aber
für Zahlhaas und Schreivogel ist nun die Wahrheit heraus, und
die unzähligen Kritiker, welche ihre Geschichtskenntniß aus
historischen Romanen und Tragödien nehmen, die da ehrlich
35glauben, Schillers Don Carlos sei in der Wirklichkeit nicht
ein Bube gewesen, Goethes Egmont kein, auch mit Carlos
conspirirender Verräther, fühlen sich tief befriedigt und
loben. Ihr Historico-Tragico-Kenner bedenkt: wozu Dichtkunst,