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[GAA, Bd. I, S. 619]

 


lassen werden müsse. Statt dessen offenbare sich dessen historische
Erzählung „als ein Ableger des von Schiller inaugurierten, von
Kotzebue verwässerten und auf exotische Stoffe ausgedehnten histo-
rischen Dramas der Aufklärungszeit“. (S. 99.) Die „Schriften“ van
der Veldes erschienen zuerst gesammelt in zwanzig Bänden 1819 bis
1825 bei Arnold in Dresden.
Verweis zum Text S.272, Z.13 f.: mit den sämtlichen Werken der ertrunkenen
Louise Brachmann: Karoline Marie Louise B. (1777—1822) hatte
in ihrer Jugend, die sie in Weißenfels verlebte, entscheidende Ein-
flüsse im Hause des Salinendirektors Freiherrn von Hardenberg
erfahren, in dem herrnhutischer Geist waltete. Der Verkehr mit
Novalis trug viel dazu bei, sie dichterisch anzuregen und ihr un-
verkennbares lyrisches Talent zu heben. Sidonie von Hardenberg,
die Schwester des Dichters, gewann ihr die Förderung Schillers,
der mehrere ihrer Gedichte in die „Horen“ von 1797 und den
„Musen-Almanach“ für das folgende Jahr aufnahm. Der Tod
ihres Vaters (1804) engte ihre wirtschaftliche Lage ein, so daß
sie sich gezwungen sah, die Schriftstellerei zum Berufe zu machen.
Immer mehr wandte sie sich nun von der ihr gemäßeren Lyrik
der aufblühenden Novellendichtung zu, schmückte ihre Werke aber
gern, nach Art der Romantiker, mit lyrischen Einlagen. Balladen
und Romanzen liefen nebenher. Diese waren es vornehmlich, welche
ihren Namen in weitere Kreise trugen. Die Aufforderungen, an
Zeitschriften und Almanachen mitzuarbeiten, häuften sich, den Bei-
trägen jedoch, die sie nun in großer Zahl lieferte, ist es vielfach
anzumerken, daß sie um des äußeren Gewinnes willen entstanden.
Sie sind von ungleichem Werte; manches blieb unfertig. Wiederholt
hat L. B. unglückliche, unerwidert gebliebene Neigungen gefaßt,
die ihr Leben zerstörten. Nachdem sie schon im Jahre 1800 einen
Versuch unternommen hatte, ihm ein Ende zu machen, fand sie
im September 1822 den Freitod in einem Arme der Saale bei
Halle. Die unmittelbare Veranlassung zu diesem letzten Schritte
ist unaufgeklärt. Jedoch mag Adolph Müllner Recht haben, wenn
er meinte: nicht eine unglückliche Liebe sei das Übel gewesen,
an dem L. B. fortdauernd gelitten habe, sondern die unglückliche
Liebe überhaupt, „das Mißverhältniß zwischen den Ansprüchen
einer Dichter phantasie an die Liebe und den kargen Gaben
der wirklichen Welt“. (Louise Brachmann, „Auserlesene Dichtungen“,
Bd 1, Leipzig 1824, S. XCII.) Wenn auch L. B., über den Kon-
fessionen stehend, mit manchem Romantiker die Hinneigung zum
Katholizismus teilte, insbesondere zu dem des Mittelalters, so war
sie im Grunde keine romantische Natur. Vielmehr beruhen die
Wurzeln ihres Wesens in der, vom Pietismus genährten Zeit der
Empfindsamkeit mit ihrem Kultus des Gefühlslebens, ihren schwär-
merischen Herzensergießungen und ihrer strengen Scheidung von
Seelen- und Sinnenliebe. Ein Teil der Balladen und Romanzen
bewegt sich im Fahrwasser der Romantik; andere folgen dem Vor-
bilde Schillers, den die Dichterin in ihrer Jugend abgöttisch verehrt
hatte. Auf die Novellen paßt Müllners scherzhafte Satire: „Mond-
schein sing ich und Liebe und immer nur Liebe und Mondschein“.
Die beiden Pole, um die fast alle Gedanken der Dichterin kreisen,