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[GAA, Bd. II, S. 156]

 


Sie spielt ja jetzt noch mit mir in den Träumen.
Heinrich der Löwe sieht auf den Boden
Wie hab ich in den finstern Jahren der
Verbannung, diesen Augenblick, wo ich
5Der Heimat Boden wiederseh, ersehnt —
Nun ist er da, und statt erträumter Wollust
Ein namenloser Schmerz — Wie eine Leiche,
Bedeckt von Wundenmalen, liegt da die
Vergangenheit, und stiert verwundrungsvoll mich an,
10Daß ich den Deckel ihres Sargs gehoben —
Erstdruck Die alten Freuden und die alten Taten
Umwandeln mich gespensterhaft, und blicken
Mich höhnisch an, daß ich nicht mehr vermag
Sie zu genießen, zu vollbringen.
15Die ganze Gegend ist mir nur die Spur
Von dem, was war
sich umblickend
                            Wie wird mir? Sitz ich bei
Der Abendlampe, les in einer Chronik?
20Die wilde Heide hier, vom Meer bespült,
Mit ihren struppgen Büschen, starren Fichten,
Ist sie es selber, oder ists ein auf-
Gerolltes Buch mit ungeheuren Lettern,
Die die Geschichte meines Lebens mir
25Erzählen?
            — Ja, dies ist die Stelle,
Wo ich nach jenem Weserkampfe mit
Ihr weilte — Hier, hier lag ich flüchtig und
Verzweifelnd — kaum aufatmend unter
30Der eignen auf mich hingestürzten Macht —
Der große Sachsenherzog zu 'nem Wurm
Gekrümmt — Und dort stand Sie, so wunderhold,
So engelmild, so männlich stark, und goß
Mit linden Worten Balsam in die Wunden —
35Ich richtete mich auf — die süßen Klänge drangen
Erstdruck In meine Brust, wie Tau in eine Blume,
Breit ward sie wieder, und die Wange
Ward wieder rot, — ich lächelte des Unglücks.
— Alt ward ich unterdes, still wards um mich,
40Doch immerdar,
Wie Abendglocken, hör ich es noch tönen: