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[GAA, Bd. II, S. 155]

 


Otto Ach, meine Mutter war aus England!
Heinrich der Löwe O
Mathildis — Du ihr Bild — Laß dich umarmen —
Ja, denkt man ihrer, so mißschätzt man leicht
5Die Welt! — Du weinst? Verbirg es nicht — Nicht lob
Erstdruck Ich Tränen, aber mehr als Edelstein
Sei jede wert, die ihrem Angedenken rinnt.
— Ich fand in ihr des Ozeans schönste Perle
Und trug sie jubelnd hierher durch die Flut —
10Mein Leben war nur Nacht und Sturm — Sie war
Der Stern, der durch die Wolken brach —
Wie oft hab ich an seinem Glanze mich
Erquickt! — O Gott ich wünschte fast, daß ich sie nie
Besessen, — denn ich mußte sie verlieren!
15— Westminsterhalle, Westminsterhalle, halt
In deiner gierigen Gewölbe Schlünden
Nicht mehr die Edelsten der Toten,
Laß deine breiten Marmorquadern endlich
Vor all den Fürstenzähren — welche Tag
20Und Nacht drauf strömen, sich erweichen, sich
Auflösen — Gib die Toten wieder!
Mit dem Fuß auf die Erde stampfend
                            Mir
Mathildis wieder! wieder!
25Otto Meine Mutter! meine Mutter!
Heinrich der Löwe wieder gemäßigter Ging
Dahin, von woher niemand rückkehrt — Weine
Erstdruck Nicht länger — Hilft dir nichts — Ich rief schon oft
Zu ihr ins Grab, — doch nicht einmal ein Echo
30Schallt draus hervor — Das Gute schwindet, nur
Erinnrung bleibt. — Drum, so lang du atmest,
Erinnre dich an sie, — wenn dir im Römer
Der Saft der Traube blinkt, so denk an Sie,
Und Götternektar wirst du schlürfen, — wenn
35Des Lebens Mühn dich drücken, denk
An Sie, und freudig trägst du deine Last, —
Wenn dir die Sünde, die Versuchung nahn,
So denk an Sie, und du bleibst rein
Wie frischer Schnee, denn nimmer kann das Böse
40Mit ihrem Angedenken sich vermischen.
Otto Wie könnt ich doch der Mutter je vergessen?