Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
GAA, Bd. II, S. 191 zurück Seite vorwärts

[GAA, Bd. II, S. 191]

 


Ich seh nicht Einen nur, ich seh die Welt!
Richard wird fortgeführt, Kaiser Heinrich entfernt sich mit
Agnes und dem Prinzen Heinrich vom Reichstage
Handschrift Erstdruck  Zweite Szene
5 Ein Vorsaal in dem Schlosse Heinrichs des Löwen zu Braun-
schweig. Nacht. Ein paar große Leuchter brennen
Christoph und Wehrfried auf Wache
Christoph Ob der Herzog noch wach ist?
Wehrfried Gewiß. Ich glaube, er schläft gar nicht, so kränk-
10 lich er auch ist. Sicher sitzt er wieder über den alten Chro-
niken, oder sieht dort nach dem Harze, oder wandert im
Schlosse umher.
Christoph Horch, was war das?
Wehrfried Der Wind schlägt ein paar Türen zu, die in
15 rostigen Angeln gehn.
Christoph 's ist grauserlich!
Wehrfried Daß der Wind Türen zuschlägt?
Christoph Spotte nicht — Der Herzog wird die Freude,
Erstdruck wieder in Braunschweig zu sein, nicht lange genießen. Bar-
20 dewicks Eroberung wird wohl seine letzte Tat bleiben, und
auch da schon machte ihn nur der Zorn so stark. — Es
riecht im ganzen Schlosse nach Fichtenholz —
Wehrfried Das geht auf ihn nicht, denn er würde in einem
zinnernenHandschrift  Sarg begraben. Wer weiß, welche Kammer-
25 katze grade krepiert!
Christoph Gestern, bei hellem lichten Mittag, geht der Adolf
die große Wendeltreppe hinunter, — was sieht er, da er auf
den Flur kommt? Dich, mich, die ganze Dienerschaft in
tiefster Trauer, mitten dazwischen einen großen Sarg, und
30 darin der Löwe bleich und tot. Er will näher gehen —
Weg ist alles.
Wehrfried Adolf ist guter Freund des Schloßkellermeisters,
und trinkt wohl mal ein Tröpfchen.
Christoph Und — Gott sei mit uns, und uns und dem
35 Herzoge gnädig — Schon drei Schildwachen haben nachts
um diese Zeit, gegen zwölf Uhr, die Weiße Frau gesehen. —