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[GAA, Bd. II, S. 248]

 


heit bei ihrer Erwähnung. Das unselige Geschöpf, die
Plage, die ich hier im Hause vorfand, und darin ernähren
muß!
Clorinde Du verachtest sie nicht mehr als ich und Thisbe. Sie
5 ist ein einfältiges Ding, aber fürwahr! besser ankleiden als
sie kann mich niemand.
Thisbe Legt sie mir eine Locke auch nur nachlässig zurecht,
es schmückt mich mehr, als wenn ich Stunden Handschrift daran kün-
stele. Es ist gleich etwas Charakteristisches darin.
10Die Baronin Ihr Unvorsichtigen, ahnt ihr denn nicht, daß
Aschenbrödel euch bei manchem aussticht?
Clorinde Sie, die unbedeutende Person, im grauen Gewande?
Thisbe Die kaum die Spur von Schönheit hat?
Die Baronin Kurzsichtige, sie ist interessant! Schön-
15 heit ist ein totes Bild, und blendet auf einen Augenblick;
wer interessant ist, fesselt auf immer.
Clorinde Wir wollen sie hüten, je einem Freier in die Nähe
zu kommen.
Die Baronin Wo ist sie?
20Handschrift Thisbe Oben im Ahnensaal. Da sitzt sie, die Hand an der
Stirn, und blickt bald in das Feuer, bald auf die Bilder
der Vorfahren, — hört die Wetterhähne schnarren, sieht
nach den Sonnenstrahlen, wie sie durch die gefärbten Fen-
ster dringen, oder hört zu, wie der Regen daran schlägt.
25Die Baronin Laßt sie rufen. Sie soll euch ankleiden helfen
Und dann wieder mit ihr zu den Ahnenbildern.
Clorinde schellt, ein Diener tritt herein Ruf Fräulein Aschen-
brödel — Olympia, wollt ich sagen.
Diener ab 30
Die Baronin Die Hassenswerte! Je mehr ich sie strafe, je
frischer blüht sie auf, eine Rose unter Gewitterschauern!
— Wäre sie tot!
Handschrift Olympia kommt
Wie lange währt es, ehe du kommst? — Schläfriges Ge-
35 schöpf, ordne der Thisbe die Locken.
Olympia Gern.
Die Baronin Mädchen, was siehst du durch das Fenster! Auf
die Locken sieh!
Olympia Ach, wie so schön glüht dort die Rose!
40Die Baronin Was kümmern dich die Rosen?
Olympia für sich Frühling