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[GAA, Bd. II, S. 305]

 


Handschrift  VIERTER AUFZUG
Erste Szene
Die zweite Hauptstadt des Königs. Saal im königlichen Schlosse
Olympias Schuh liegt auf einem Polster. Der Rüpel steht dabei 5
Der Rüpel wieder in seiner gewöhnlichen Kleidung Das ist
eine verfluchte Geschichte. Ich bin hier angestellt bei diesem
Schuh, und soll zusehn, wer ihn anziehen kann. Auch hab
ich, da ich hierbei nichts zu raten weiß und es doch scheinen
mußte, als wenn ich es könnte, kein Gehalt bekomme, und
10 ein so eitler Narr war, darum anzuhalten, den Titel Hof-
rat erhalten. Er blickt auf die Straßen
Gott sei mir gnädig, welche Masse Weibsvolk strömt hier
zu dem Schuh! Markt und Straßen, Berge und Täler Handschrift sind
voll von dem Ungeziefer! Es zählt wenigstens sechs Mil-
15 lionen. Kein Mädchen, kein Weib ist ausgeblieben: Da steht
ein Minister mit zwei schmachtenden Töchtern — dort
arbeitet sich ein Metzger mit seinen drei Mädchen durch,
die im Gesichte rot sind, wie ungekochtes, gefrornes Rind-
fleisch, und Füße haben wie die Elefanten! Hier dicht beian
20 steht eine von denjenigen, welchen man nach ihrem Tode
Monumente setzen sollte, weil sie sich dem allgemeinen
Vergnügen aufopfern, und zwar bescheiden, im Dunkeln,
wo es niemand sieht, — Gott, da ist einer von „unsere
Leut“, der sein Vermögen gelegt hat auf Zinsen zu min-
25 destens 12 Prozent, denn ich sehe, er hat da gezeugt zwölf
Töchterchen, die eine häßlicher als die andere, und wer
weiß, ob nicht auch zwölf Jüngelchen von ihm herumlaufen
handelnd in der Welt — Ach, und dort der Baron mit
seinen beiden großnasigten Töchtern, Handschrift meinen Geliebten! Nur
30 getrost, Kinder, eure Nasen sind wenigstens größer als eure
Füße!