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[GAA, Bd. II, S. 764]

 


Nun trat K. aus seiner siebenjährigen Zurückgezogenheit wieder
hervor; er erklärte sich für die neue Verfassung und wurde zum
Generallieutenant der Armee ernannt. An den nachfolgenden Kämp-
fen mit den Russen war er beteiligt, erbat jedoch von neuem seine
Entlassung, als der wankelmütige König, aus Furcht, seinen
Thron zu verlieren, eine Schwenkung auf die Seite der verfassungs-
feindlichen Konföderierten von Targowice vollzogen hatte, und be-
gab sich nach dem Auslande. In Dresden erreichte ihn die Nachricht
von Madalinski's Erhebung. Wiewohl ungehalten über die Hast,
mit der die Anführer der Revolution vorgingen, blieb ihm nichts
andres mehr übrig, als die ihm dabei zufallende Rolle zu über-
nehmen. Am Abend des 23. März langte er in Krakau an und
übernahm sofort die Führung der Bewegung. Am 24sten erließ er
einen Aufruf an das polnische Volk, in dem er die Notwendigkeit
des Aufstandes und den Entschluß der Nation aussprach, für die
Befreiung vom fremden Joche zu sterben. Er erklärte sich bereit,
die Diktatur zu handhaben, bis das Vaterland völlig befreit sei;
im Innern sollte die Regierung durch einen von ihm ernannten
Nationalrat geführt werden. In rastloser Tätigkeit ordnete nun K.
die Verwaltung des Landes, setzte Beamte ein und suchte Geld zu
beschaffen. Am 30. März verließ er mit den Truppen die Stadt,
vereinigte sich mit Madalinski, stieß am 4. April bei dem Dorfe
Raclawice auf die diesen verfolgenden Russen und schlug sie. In
Warschau erfolgte der gewaltsame Ausbruch erst am 17. April. In
zweitägigem Gemetzel wurden die Russen aus der Stadt geworfen;
eine provisorische Regierung wurde eingesetzt und der Anschluß
Warschaus an die Krakauer Volkserhebung proklamiert. Auch Li-
tauens Streitkräfte schlossen sich dem Aufstande an. K., nach wie
vor unumschränkter Diktator, faßte den Entschluß, sich nach War-
schau zu wenden. Der ihn verfolgenden Armee gelang es nicht, ihn
von der Hauptstadt abzuschneiden. Am 10. Juli stand er vor deren
Toren. Die nun einsetzende Belagerung durch preußische und rus-
sische Truppen wurde infolge der Uneinigkeit der verbündeten
Mächte Anfang Septembers aufgehoben. Nun aber rückte Suworow,
Rußlands bedeutendster Feldherr, durch Litauen heran. K. zog ihm
entgegen. Es gelang ihm nicht, die Vereinigung des russischen Gene-
rals Fersen mit Suworow zu verhindern. So verschanzte er sich auf
freiem Felde bei Maciejowice und erwartete hier den Sturm des
Gegners, der am 10. Okt. 1794 erfolgte. Zwei Angriffe der Russen
wurden blutig zurückgeschlagen; als aber Suworow mit frischen
Truppen heranstürmte, unterlagen die ermüdeten und zum Teil
schlecht bewaffneten polnischen Kämpfer der Übermacht. Schwer
verwundet, geriet K. in russische Gefangenschaft. Kosaken bildeten
aus vier Lanzen eine Bahre und brachten ihn in ein nahegelegenes
Kloster. Ein Augenzeuge berichtet, daß er nach dem letzten Säbel-
hiebe, den ihm einer der verfolgenden Karabiniers versetzt hatte,
lautlos zusammengebrochen sei; dadurch wird die hergebrachte Er-
zählung widerlegt, daß er während dem Zusammenbrechen „Finis
Poloniae!“ ausgerufen habe. Auf Befehl Katharinas II. wurde K.
in dem Petersburger Fort Petro-Pawlowsk in festem Gewahrsam ge-
halten, bis ihn Paul I. im Frühjahre 1797 mit großen Ehren entließ.