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[GAA, Bd. IV, S. 20]

 


  Sobald bei einem Volke das Weib nicht mehr
als eine res betrachtet wird, sondern selbst besitzen
kann, so werden nothwendiger Weise Institute
entstehen, welche darauf abzwecken, das
5Besitzthum einer Frau vorzüglich während der
Ehe, wo es am meisten in Gefahr ist, zu schützen.
Dem Character und der Lage der beiden Nationen
gemäß, entwickelte sich bei den Römern neben
der unbedeutenderen parapherna die bedeutendere
10und verwickeltere Lehre der dos, und bei
den Germanen die Gütergemeinschaft. Die Römer,
in Sittenverderbniß versunken, und daher, wie
ihre Verbote über Erbverträge so schrecklich zeigen,
höchst mißtrauisch untereinander, außerdem
15noch in Handelsverbindungen vom größten Risiko
mit der ganzen Welt verflochten, und im
Besitz des raffinirtesten Systems der Jurisprudenz,
konnten und mußten darauf fallen, das Heil der
Güter der Frau in einer beinah mathematischen
20Absonderung des dominium von dem ususfructus
zu suchen; die Germanen dagegen, noch halbe
Wilde, aber sogar in diesem Zustande, gleich allen
mitteleuropäischen Nationen, durch die Natur
ihres Himmelstrichs gezwungen, den Weibern einen
25wichtigern Platz in der Gesellschaft einzuräumen
als die südlicheren Italiäner, geriethen
auf einen weit einfacheren Weg als diese, und
glaubten, arglos und treu wie sie waren, das
beste und gerechteste Mittel, die Güter beider
30Eheleute zu erhalten, bestehe darin, daß man sie
in ein Gesammteigenthum verschmölze. Völlig
zur Reife gebracht wurde die Lehre durch die
Einführung des Christenthums, insbesondere durch
den Grundsatz, daß Mann und Frau Eins seyen,
35und daher kommt es, daß wir erst im Mittelalter
Spuren einer unbedingten communio bonorum
wahrnehmen. Die Idee, welche der Hofrath
Runde im § 605 des deutschen Privatrechts äußert,
daß in früheren Zeiten gar keine allgemeine
40Gütergemeinschaft hätte existiren können, weil
alle Töchter erblos und folglich güterlos gewesen